Zeitdruck

Zeitdruck ersetzt vernünftige Arbeitsorganisation?

Zeitdruck ist eines der zentralen Themen, wenn es darum geht, die Arbeitsbedingungen in den Büros zu beschreiben. Mit 57 Prozent gab die Mehrheit der befragten Kolleginnen und Kollegen an, unter anhaltendem Zeitdruck zu arbeiten. Sogar 64 Prozent antworteten, dass sie ihre Arbeit nicht ohne tätigkeitsfremde Unterbrechungen erledigen können. Woran liegt das?

Gründe sind vielfältig

Arbeitgeber kalkulieren eher mit zu wenig als ausreichend Personal. Das ist sicherlich ein entscheidender Faktor. Oft mangelt es in den Betrieben aber auch an sinnvoller und strukturierter Arbeitsorganisation, so dass Beschäftigte unter Druck und in Stress geraten. In manchen Abteilungen gibt es keine oder nur schlecht organisierte Vertretungsregelungen. Viele Beschäftigte müssen ein zu großes Aufgabenspektrum bewältigen und Vorgesetze stehen ihnen bei der Prioritätensetzung nicht zur Seite. Zudem beklagen Kolleginnen und Kollegen immer wieder die meeting-Kultur in ihren Betrieben. Und es gibt noch mehr Kritikpunkte.

Keine nachhaltigen Lösungen

„Es gibt keine Zeit für nachhaltige Lösungen, sondern hauptsächlich ‚firefighting‘“, kritisiert eine Kollegin aus dem Betrieb Aventics. „Eine Aufgabe kann vom Vorgesetzten als sinnvoll erkannt werden. Doch die Kapazität zur Durchführung wird nicht genehmigt, wenn der Nutzen nicht in Euros und mit einem Return-of-Investment von 12 Monaten dargestellt werden kann. Schließlich muss sich der Vorgesetzte auch ‚nach oben‘ rechtfertigen. Dies versuchen die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch mehr Einsatz wettzumachen. Aber solch ein Verhalten wird abgestraft mit einer ‚wer-mehr-schafft-hat-zu-wenig-zu-tun‘-Politik. Das ist ein Teufelskreis, der jede vorausschauende Aktion im Keim erstickt.“ Deshalb fordert die Kollegin, jeder und jedem Beschäftigten Zeit einzuräumen, um über den Tellerrand des direkten Arbeitsumfelds schauen zu können. Das würde die Kommunikation und das Verständnis unter den Beschäftigten fördern und künftige zeitintensive sowie halbgare Schnellschusslösungen vermeiden.

Schlechte Produktionsplanung

„Zeitdruck war bei uns lange nur ein nebensächliches Problem“, erklärt ein Entwickler, „aber das hat sich aufgrund schlechter Produktionsplanung und zweifelhafter Managemententscheidungen im aktuellen Projekt sehr verändert. Der Entwicklungszeitraum wurde fast halbiert, gleichzeitig sind die Anforderungen an das Produkt und die geforderten Kostenreduzierungen aber mindestens genauso groß wie vorher. Das führt dazu, dass übliche Abläufe nicht mehr eingehalten werden können. Die Kolleginnen und Kollegen hetzen nur noch von einer Deadline zur nächsten, niemand hat mehr die Zeit zur vernünftigen Planung oder Qualitätskontrolle. Die Folge sind mehr Fehler und doppelte Arbeit, was den Zeitdruck noch weiter verstärkt.“ Deshalb plädiert der Entwickler dafür, dass projektbeteiligte Beschäftigte in die ursprüngliche Projektplanung einbezogen werden und Mitsprache haben. Denn wer die Arbeit macht, wisse am besten über die dafür benötigte Zeit Bescheid. Planung im Nachhinein führe seiner Meinung nach nur dazu, sich dem Projektplan anzupassen. Mit einer Vorabplanung aber ließe er sich zusammen mit den Projektbeteiligten realistisch gestalten.

Wunsch nach mehr Einflussnahme

In Anbetracht dieser betrieblichen Beispiele verwundert es kaum, dass sich 57 Prozent der befragten Kolleginnen und Kollegen mehr Einflussnahme auf die Arbeitsorganisation und 58 Prozent mehr Einfluss auf die Aufgabenstellungen und Zielvorgaben wünschen.

Systematisch und gemeinsam nach Lösungen suchen

Im betrieblichen Alltag ist das gar nicht so einfach. Enge Deadlines prägen die Arbeit und die Aufgabenfelder nehmen stetig zu, so dass kaum Zeit für Momente des Innehaltens bleibt. Ein Kollege von Siemens bestätigt dies: „Der Druck ist enorm hoch – bloß keine Schwäche zeigen oder zugeben. Viele fürchten sich davor, als nicht voll leistungsfähig zu gelten und womöglich ersetzt zu werden. Dazu kommen noch weitere Belastungsfaktoren, wie das Gefühl, nützliche Arbeit zu machen, ein wichtiger Teil des Teams zu sein oder über eine auch in Zukunft gefragte Qualifikation zu verfügen.“ Doch erst wenn Raum geschaffen und die beschriebene Angst überwunden wird, Probleme auch anzusprechen, können diese bearbeitet werden und somit zu einer Entlastung für die Beschäftigten führen. Dies hat beispielsweis bei Siemens gut funktioniert: „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem öffentlichen Umgang von Themen wie Stress und psychischer Belastung gemacht. Als in manchen Arbeitsbereichen die Belastung enttabuisiert wurde, also wertefrei darüber diskutiert werden konnte, ließ schon mal ein Teil der eigenen Belastung nach. Man steht nicht mehr allein. Dieses Gefühl der Gemeinschaft hat sehr stark geholfen.“ Diese Prozesse müssen wir – IG Metall, Betriebsrat und Beschäftigte – im Betrieb gemeinsam organisieren.

Was können erste Schritte sein?

Probleme zum Thema machen: Fordert in euren Team- oder Abteilungsbesprechungen ein regemäßiges Zeitfenster ein, in dem Schwierigkeiten zur Sprache kommen. Bereitet bei Bedarf ein abgestimmtes Flipchart o.ä. vor, dass eine Kollegin oder ein Kollege gegenüber der/dem Vorgesetzten in moderierender Rolle vorträgt.

Signale setzen: Einfach mal pünktlich nach Hause gehen, am besten mit mehreren Kolleginnen und Kollegen oder dem gesamten Team, selbstbewusst und ohne schlechtes Gewissen. Und keine Sprüche oder Kommentare abgeben, wenn andere pünktlich das Büro verlassen.

Womit hast Du gute Erfahrungen gemacht?
Nimm‘ Kontakt auf und berichte davon. Auch im AngestelltenForum werden wir gemeinsam weitere Maßnahmen und deren Umsetzung diskutieren.

Einen Kontakt zu den genannten betrieblichen Kolleginnen und Kollegen können wir gern vermitteln.